Dem Wahren, Schönen, Guten: Wahrheit
Philosophisches Cafe, 6.2.2016, 16-18 Uhr, Heimathafen Wiesbaden
Referat von Christian Rabanus
Hinführung zum Thema: Die Trias „Wahrheit, Schönheit, Güte“
Die Begriffe der Wahrheit, der Schönheit und der Güte (interessanterweise ist die Nominalisierung des Adjektivs „gut“, nämlich „Gutheit“, äußerst ungebräuchlich; die Bedeutung des gebräuchlicheren Wortes „Güte“ ist in unserem heutigen Sprachgebrauch – das muss bei unserer Beschäftigung beachtet werden – stark moralisch geprägt) sind Grundbegriffe der antiken Philosophie und als solche auch in der gesamten Geschichte der Philosophie immer wieder präsent.
Wirft man einen Blick in die Philosophie Platons, so stehen insbesondere die Begriffe „Schönheit“ und „Güte“ im Mittelpunkt. Aber schon in den Dialogen Platons, vor allen in den frühen Dialogen, wird deutlich, welche Schwierigkeiten mit dem Versuch der präzisen begrifflichen Fassung oder der Definition dieser Begriff verbunden sind: Diese frühen Dialoge Platon kreisen immer wieder um den Versuch, Grundbegriffe des antiken Lebens zu definieren und enden immer wieder aporetisch, d.h. ohne eine von allen Gesprächsteilnehmern akzeptierte und sinnvoll erscheinende Definition. Dadurch sind diese Dialoge aber um nichts weniger instruktiv – denn neben der denkenden Praxis, die sie entfalten (und die nachzuvollziehen auch die modernen Leserinnen und Leser immer wieder eingeladen sind), wird klar, wie eine Definition nicht aussehen sollte. Gerade dieser Zug der frühen Dialoge Platons verdeutlichen sehr gut, was mit dem Sokrates zugeschriebenen Spruch „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ gemeint ist: Nämlich nicht das simple Eingeständnis von Unwissenheit, sondern der Ausdruck einer der höchsten Einsichten, die man gewinnen kann, nämlich der Einsicht in die Unvollkommenheit der eigenen Einsicht und des eigenen Wissens. Letzteres ist bekanntlich die Basis, auf der dann überhaupt erst kritisch reflektiertes Wissen zu erlangen (und immer wieder auch zu überprüfen und ggfs. zu verwerfen) ist.
Der Begriff der Schönheit wird beispielsweise im Dialog „Hippias major“ behandelt. Nachdem der Sophist Hippias zunächst Sokrates Fragestellung, nämlich eine Definition von Schönheit zu suchen, überhaupt nicht verstanden hat und seine plumpen Erklärungsversuche wie „ein schönes Mädchen ist schön“ (Platon: Hippias major, 287 c) schnell als unzureichend erwiesen sind, versucht es Sokrates mit einer Reihe abstrakterer Definitionen selbst, z.B. das Schickliche sei das Schöne (a.a.O. 293 d/e), oder das, was die Menschen durch Auge und Ohr erfreue, sei das Schöne (a.a.O. 297 e) – aber auch diese Versuche enden immer wieder in Widersprüchen und Absurditäten.
Immerhin liefert der Platonische Sokrates dann in einem späteren Dialog, in dem schon Grundzüge von Platons Ideenlehre vorgetragen werden, nämlich dem „Gastmahl“, einen Hinweis auf die Art der Annäherung an das Schöne – im Kontext vom „Gastmahl“ muss man sagen: an die Idee des Schönen. In diesem Dialog lässt Platon Diotima sprechen, die als weise Frau eingeführt wird, die auch schon Sokrates unterrichtet habe. In dem Gespräch geht es insgesamt um eine Huldigung des Liebesgottes Eros, das Spezialgebiet der Diotima ist die Liebe. In der Runde erklärt nun Diotima den Erkenntnisweg zu wahrer Schönheit:
„Denn dies eben heißt ja, den richtigen Weg der Liebe einschlagen oder von einem anderen auf diesem geleitet werden, wenn man um dieses Urschönen willen von jenem vielen Schönen ausgeht und so stufenweise innerhalb desselben immer weiter vorschreitet, von einem zu zweien und von zweien zu allen schönen Körpern, und von den schönen Körpern zu den schönen Bestrebungen, und von den schönen Bestrebungen zu den schönen Erkenntnissen, – bis man innerhalb der Erkenntnisse bei jener Erkenntnis endigt, die von nichts anderem als von jenem Urschönen selber die Erkenntnis ist, und so schließlich das allein wesenhafte Schöne erkennt.“ (Platon: Das Gastmahl, 211 c)
Das Schöne an sich, die Idee des Schönen, ist es nach dieser Lesart, die alles Schöne überhaupt erst schön macht – oder anders herum: Durch Teilhabe an der Idee des Schönen wird alles Schöne erst schön.
In der zitierten Passage wird auch deutlich, dass die Idee des Schönen nicht eine rein ästhetische Idee ist, sondern sehr wohl etwas mit dem Guten zu tun hat – nämlich dadurch, dass auch Handlungen und Bestrebungen „schön“ sein können – was bei Platon nichts anderes heisst, dass sie angemessen und schicklich sind. In moderner Terminologie könnte man sagen, dass solche Handlungen moralisch geboten sind.
Die Idee des Guten hat bei Platon freilich eine sehr weite Bedeutung, die ganz und gar nicht auf den Bereich der Moralität, bzw. der Handlungen beschränkt ist. Die Idee des Guten ist für Platon die Hauptidee, das Grundprinzip alles Seins und alles Seienden. Insbesondere in dem Dialog „Politeia“ versucht Platon verständlich zu machen, was er unter der Idee des Guten versteht. Die in diesem Dialog zur Erklärung vorgetragenen Gleichnisse – das Liniengleichnis, das Sonnengleichnis und das Höhlengleichnis – zählen zu den bekanntesten Textpassagen der platonischen Philosophie. Im Sonnengleichnis wird die Idee des Guten mit der Sonne analogisiert. Platon lässt dies Sokrates seinem Gesprächspartner wie folgt erklären:
„Welchen der himmlischen Götter kannst du nun als Urheber davon angeben, dessen Licht nämlich erstlich uns den Gesichtssinn ganz klar sehen macht und zweitens auch die sichtbaren Gegenstände sehen lässt?
Keinen anderen, erwiderte er, als den du sowohl wie die übrige Welt dafür ansiehst: denn nach dem Sonnengotte fragst du offenbar.
Ist nun das naturgemäße Verhältnis des Gesichtes zu dem Sonnengotte folgendes?
Welches?
Nicht ein Sonnengott ist der Gesichtssinn, weder er selbst noch das Ding, worin er sich befindet, was wir bekanntlich Auge nennen.
Ja, freilich nicht.
Aber am sonnenartigsten ist er doch wohl unter allen Sinneswerkzeugen.
Ja, das allerdings.
Und nicht wahr, das Vermögen, welches er besitzt, erhält er von dorther wie durch einen Kanal gespendet?
Jawohl.
Nicht wahr, auch der Sonnengott ist kein Gesichtssinn, wohl aber die Ursache davon und wird von eben diesem gesehen?
Ja, sagte er.
Unter dieser Sonne also, fuhr ich fort, denke dir, verstehe ich die Kopie des Guten, die von dem eigentlichen wesenhaften Gut als ein ihm entsprechendes Ebenbild hervorgebracht worden ist: was das eigentliche Gute in der durch Vernunft erkennbaren Welt in bezug auf Vernunft und auf die durch Vernunft erkennbaren Gegenstände ist, das ist diese seine Kopie in der sinnlich sichtbaren Welt in bezug auf Gesicht und sichtbare Gegenstände.“ (Platon: Politeia, 508 a ff.)
Schönheit und Güte sind also bei Platon (und nicht nur bei ihm, sondern allgemein in der klassischen Philosophie) eng miteinander verknüpft – so eng, dass sich sogar die Rede von der Kalokagatia eingebürgert hat. Dieses Kompositum besteht aus dem griechischen Wort für „schön“, nämlich „kallos“, und dem griechischen Wort für „gut“, „agathos“. Die Kalokagatia war lange Zeit ein das Leben leitendes Ideal, ihre Verwirklichung gleichbedeutend dem Erreichen von körperlicher und geistige Vortrefflichkeit.
Mit der Wahrheit verhält es sich bei Platon etwas anders. Platon kennt beispielsweise keine Idee der Wahrheit, Wahrheit ist für ihn einerseits so etwas wie ein epistemischer Modus – was heißt: Wahrheit kommt beispielsweise einer Erkenntnis zu oder einem richtigen Handeln. Aber eine Erkenntnis, insbesondere eine, die auf einer sinnlichen Wahrnehmung beruht (z.B. „Der Wein ist rot.“), ist der Wahrheit nur teilhaftig, ist nicht selbst „die“ Wahrheit. Eine wahre Erkenntnis ist soweit wahr, soweit sie an der Wahrheit teilhat.
In der Erkenntnis kann sich etwas vom wahren Sein enthüllen, das wahre Sein ist „die“ Wahrheit. Bei Platon ist das wahre Sein wohl nichts anderes als die Idee des Guten. Sein Wahrheitsbegriff ist damit ein ontologischer Wahrheitsbegriff.
Das griechische Wort für Wahrheit lautet „alätheia“. Dieses Wort ist ein Kompositum aus Alpha-Privativum (also Negation) und „läthos“, dem Partizip Perfekt Passiv von „lanthano“, welches übersetzt „verbergen“ heißt. Die Wahrheit ist also das „Un-Verborgene“. Martin Heidegger wird in seiner Philosophie im 20. Jahrhundert diese Bedeutung stark machen.
Wahrheit, Schönheit und Güte als Trias hat sich erst im 18. und 19. Jahrhundert etabliert – und zwar insbesondere im Kontext der Kunst, bzw. der Entstehung der Ästhetik als einer Disziplin, die dem Wesen des Schönen nachforscht. Im Kontext der Trias ist Wahrheit und Güte der Schönheit subordiniert, bzw. wird die Kunst als Manifestation des Schönen als Königsweg zu Wahrheit und Güte verstanden. Ein Text aus dem Nachlass und in der Handschrift von Georg Friedrich Wilhelm Hegel, der aber wohl nicht von ihm selbst stammt, sondern nur von ihm zu Papier gebracht wurde – die Forschung geht aus inhaltlichen Gründen davon aus, dass der Text ursprünglich von Friedrich Hölderlin oder Friedrich Wilhelm Josef Schelling verfasst wurde – fasst bringt dies pointiert zum Ausdruck:
„Zuletzt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit, das Wort in höherem platonischen Sinne genommen. Ich bin nun überzeugt, dass der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfasst, ein ästhetischer Akt ist, und dass Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind.“ (Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, zitiert nach: Gerhard Kurz: Das Wahre, Schöne, Gute. Paderborn 2015, S. 120)
Die Trias aus Wahrheit, Schönheit und Güte wurde zum Leitbild des kulturell interessierten Bürgertums und der Boheme. Das war auch der Grund, warum die am 20. Oktober 1880 eröffneten Frankfurter Oper (der heutigen „Alten Oper“) dieser Trias gewidmet wurde – was durch die entsprechende Inschrift an der Fassade des Opernhauses zum Ausdruck gebracht wurde.
Die Trias wurde allerdings dann auch vielfach ohne Rekurs auf ihre ursprüngliche Bedeutung und inflationär verwendet, was sie Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts in Verruf brachte – Robert Musil schreibt beispielsweise über die Figur der Bonadea, der Geliebten des Ulrich, des Mannes ohne Eigenschaften, folgendes:
„Sie war imstande, ‚das Wahre, Gute und Schöne‘ so oft und natürlich auszusprechen, wie ein anderer Donnerstag sagt.“ (Robert Musil: Gesammelte Werke. Hrsg. v. Adolf Frise, Reinbek bei Hamburg 1978, Bd. 1., S. 42)
Insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg, durch den vieles von dem, wofür die Begriff der Trias stehen, arg in Frage gestellt wurde, ist der Rekurs auf das Wahre, das Schöne und das Gute eher anachronistisch. Nichts desto trotz spannen die Ideen von Wahrheit, Schönheit und Güte eine Dimension geistigen Seins auf, das auch heutzutage für viele Menschen eine essentielle Bedeutung hat – und vielleicht auch wirklich ganz wesentliche Aspekte des Strebens des menschlichen Daseins bezeichnet.
Im hier Folgenden soll nun versucht werden, ein Verständnis dessen, was Wahrheit sein kann, anhand einer Reihe heute relevanter Wahrheitstheorien vorzubereiten.
Übersicht Wahrheitstheorien1
Grundsätzlich sind zwei große Gruppen von Theorien zu unterscheiden:
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Robuste oder substanzielle Wahrheitstheorien: In solchen Theorien wird Wahrheit als ein zentraler Begriff für Logik, Ontologie, Erkenntnistheorie und Semantik, ja für die gesamten Wissenschaften verstanden. Der Begriff „Wahrheit“ hat eine substanzielle Bedeutung. In diesem Sinne wird er z.B. in der Bibel verwendet oder von Aristoteles und Kant vertreten. In solchen Theorien steht unter anderem die Suche nach Wahrheitstkriterien wie z.B. dem klassischen Adäquationskriterium von Thomas von Aquin im Zentrum: Thomas definiert Wahrheit (und damit auch das Kriterium der Wahrheit) als „adaequatio rei et intellectus“ („Übereinstimmung der Sache mit dem Verstand“, vgl. Thomas von Aquin: Quaestiones disputatae de veritate, q. 1, a. 1)
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Deflationistische Wahrheitstheorien: Solche Theorien versuchen vor allem zu zeigen, dass der Begriff der Wahrheit irrelevant ist, bzw. dass es zumindest kein (philosophisches) Wahrheitsproblem gibt. Wahrheit ist ihnen zufolge ein nebensächlicher Begriff, auf den auch gut verzichtet werden könnte (und sollte, wenn man unsinnige Diskussionen vermeiden will). Eine solche Position wird z.B. von Gottlob Frege vertreten, demzufolge kein inhaltlicher Unterschied zwischen dem Satz „Sokrates ist sterblich“ und dem Satz „Es ist wahr, dass Sokrates sterblich ist“ besteht. So schreibt Frege:
„Man kann ja geradezu sagen: ‚Der Gedanke, dass 5 eine Primzahl ist, ist wahr.‘ Wenn man aber genauer zusieht, so bemerkt man, dass damit eigentlich nicht mehr gesagt ist als in dem einfachen Satz ‚5 ist eine Primzahl‘.“ (Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung (1892). In: G. Patzig (Hrsg.): Frege. Funktion, Begriff, Bedeutung. Göttingen 1980, S. 49)
Theorien der Wahrheit, welcher Colueur auch immer, sollen dabei in der Regel eine Reihe von Fragen beantworten:
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Begriffliche und definitorische Fragen:
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Was verstehen wir unter „Wahrheit“?
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Was meinen wir mit der Attribuierung „wahr“?
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Fragen nach Kriterien der Wahrheit:
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Wann sollten wir gerechtfertigterweise die Attribuierung „wahr“ gebrauchen?
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Wie kann Wahrheit festgestellt werden, was sind Wahrheitskriterien?
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Von was kann überhaupt gesagt werden, dass es „wahr“ sei? Wenn „Wahrheit“, bzw. „Wahrsein“ eine sinnvolle Attribuierung ist – was kann Objekt dieser Attribuierung, also was kann „Wahrheitsträger“ sein?
Gerade auf die Frage nach dem Wahrheitsträger sind viele unterschiedliche Antworten denkbar. Als Wahrheitsträger werden in unterschiedlichen Theorien z.B. anerkannt:
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Sätze, wie z.B. „Schnee ist weiß“. Vertreter dieser Ansicht müssen sich aber unter anderem mit dem Problem herumschlagen, dass beispielsweise die Wahrheit des englischen Satzes „Snow is white“ wohl eng mit der Wahrheit des deutschen Satzes verknüpft ist. Wenn aber tatsächlich der Satz der Wahrheitsträger ist, muss die Wahrheit von „Snow is white“ unabhängig von der Wahrheit des Satzes „Schnee ist weiß“ behandelt (und gegebenenfalls nachgewiesen) werden.
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Propositionen, unter denen der Satzinhalt oder die Bedeutung eines Satzes verstanden wird. Diese Auffassung hat gegenüber der vorhergehenden vor allem den Vorteil, dass Propositionen nicht sprachabhängig sind. Die Wahrheit einer Proposition, für die es unterschiedliche sprachliche Fassungen gibt, beispielsweise „Schnee ist weiß“ oder „Snow is white“, kann also unabhängig vom sprachlichen Kontext analysiert werden. Allerdings muss ein Vertreter dieser Auffassung erklären, wie der Zusammenhang von einem Satz und seiner Bedeutung aussieht und inwiefern dieser Zusammenhang für die Wahrheit der Proposition eine Rolle spielt (oder auch nicht).
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Extrem kontextrelative Äußerungen, wie beispielsweise „Du schuldest mir 10 Euro“ oder „Zum Bahnhof kommen Sie, wenn Sie an der nächsten Kreuzung links und dann kurz darauf wieder rechts abbiegen“. Die Wahrheit solcher Sätze hängt z.B. davon ab, wer den Satz ausspricht, wann er gesagt wird und an wen er gerichtet ist. Was ein solcher Satz aussagt, ist dabei noch eine ganz andere Frage – die dann natürlich auch die Frage nach sich zieht, wie die Wahrheit eines solchen Satzes nachgewiesen werden kann.
Insgesamt muss festgestellt werden, dass in der Diskussion um die Wahrheitsträger moderne Theorien in der Regel tendenziell sprachliche und logische Entitäten stärker als mögliche Wahrheitsträger in Betracht ziehen als klassische Theorien.
Substanzielle Wahrheitstheorien
Korrespondenztheorie
Die Korrespondenztheorie der Wahrheit gilt als eine der ältesten Wahrheitstheorien. Als erste Formulierung wird oft eine Passage aus der Metaphysik des Aristoteles angeführt:
„Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nichtseiende sei nicht, ist wahr. Wer also ein Sein oder Nicht-Sein prädiziert, muss Wahres oder Falsches aussprechen.“ (Aristoteles: Metaphysik 1011b)
„Nicht darum nämlich, weil unsere Meinung, du seiest weiß, wahr ist, bist du weiß, sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dies behaupten.“ (Aristoteles: Metaphysik 1051b)
Aristoteles geht also davon aus, dass es einen der sprachlichen Behauptung vorgängigen Sachverhalt gibt („weil Du weiß bist“), auf dessen Basis Wahrheit dadurch entsteht, dass dieser Sachverhalt sprachlich ausgedrückt wird. Wahrheitstheoretisch ist Aristoteles also Realist.
Da er aber nicht explizit von „Übereinstimmung“ spricht, wird die kanonische Formulierung der Korrespondenztheorie Thomas von Aquin zugesprochen:
„Ich antworte, es sei zu sagen, dass Wahrheit in der Übereinstimmung von Verstand und Sache besteht […]. Wenn daher die Sachen Maß und Richtschnur des Verstandes sind, besteht Wahrheit darin, dass sich der Verstand der Sache angleicht, wie das bei uns der Fall ist; aufgrund dessen nämlich, dass die Sache ist oder nicht ist, ist unsere Meinung und unsere Rede davon wahr oder falsch. Wenn aber der Verstand Richtschnur und Maß der Dinge ist, besteht Wahrheit in der Übereinstimmung der Dinge mit dem Verstand; so sagt man, der Künstler verfertige ein wahres Kunstwerk, wenn es seiner Kunstvorstellung entspricht.“ (Thomas von Aquin: Summa theologiae I, q. 21, a. 2)
In dieser Formulierung wird einerseits eine Definition von Wahrheit geliefert (und damit eine Antwort auf die oben genannte Frage, was den eigentlich „Wahrheit“ sei): Wahrheit ist die Übereinstimmung zwischen Verstand und Sache. Weiterhin wird dann ein Wahrheitskriterium geliefert, nämlich wann diese Übereinstimmung tatsächlich besteht. Hier sieht Thomas von Aquin zwei Gesichtspunkte:
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Die Sicht von den Sachen her: Wenn es um Meinungen oder Reden über (subjektirrelative) Sachen geht, muss sich der Verstand den Sachen „angleichen“ – wenn und soweit er das tut, kann man von Wahrheit sprechen.
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Die Sicht vom Verstand her: Soweit es um eine schöpferische Tätigkeit geht, kann von Wahrheit dann gesprochen werden, wenn das Ding so ist, wie es sein sollte. Auch hier gilt, dass von Wahrheit gesprochen werden kann, wenn und soweit das Ding dem Anspruch, bzw. der vorhergehenden Idee des Verstandes entspricht.
Auch Thomas von Aquin ist wahrheitstheoretischer Realist: Die Behauptung von „Wahrheit“ stellt eine wesentliche und sinnvolle Information dar.
Bei genauerer Betrachtung wirft diese Theorie, die auf den ersten Blick sehr plausibel erscheint und die wohl unserem intuitiven Wahrheitsverständnis am Ehesten entspricht, eine ganze Reihe von Fragen auf:
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Wie muss die Übereinstimmung zwischen Verstand und Sache überhaupt verstanden und wie kann sie gemessen werden? Denn offensichtlich ist ja eine Vorstellung des Verstandes, die sprachlich in Satzform geäußert werden kann, wie z.B. „Der Tisch ist aus Holz“, etwas ganz anderes als der Tisch selbst.
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Die durch den Satz „Der Tisch ist aus Holz“ ausgedrückte Wahrheit muss offensichtlich irgendetwas damit zu tun haben, dass der Tisch aus Holz ist – also mit dem, was man normalerweise als Faktum oder Tatsache bezeichnet. Wie aber kann die festgestellt werden (und damit die Wahrheit des Satzes überprüft werden), ohne diese Wahrheit bereits vorauszusetzen?
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Was ist Träger der Wahrheit? Der Satz „Der Tisch ist aus Holz“? Oder die Propostion, dass der Tisch aus Holz ist? Oder etwas ganz anderes?
Semantische Theorie
Alfred Tarski hat 1944 den Aufsatz „Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen der Semiotik“ vorgelegt. Die in diesem Aufsatz vorgestellte Wahrheitstheorie hat sich zur einflussreichsten sprachanalytisch orientierten Wahrheitstheorie entwickelt. Sie versucht eine präzise Formulierung des Wahrheitskriteriums der Korrespondenztheorie zu liefern, ohne sich die Probleme einzuhandeln, die mit den klassischen Wahrheitskriterien der Korrespondenztheorie (Stichwort Vergleich Vorstellung – Tatsachen) verbunden sind. Tarskis Ziel ist es dann schließlich, auch eine Definition der Wahrheit im Anschluss an den Gebrauch der Umgangssprache zu liefern.
Eine präzise Formulierung der Wahrheitsbedingung eines Satzes lieferte Alfred Tarski durch die Einführung des Unterschieds zwischen Erwähnen und Verwenden von Sätzen. So liegt es auf der Hand, dass der Satz, „Schnee ist weiß“, genau dann wahr ist, wenn Schnee weiß ist. Wahrheit ist also etwas, das über den Satz „Schnee ist weiß“ ausgesagt wird; dabei könnte dieser Satz auch „Snow is white“ lauten. Auch der Satz „Snow is white“ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist.
In diesem Satz wird der Satz „Snow is white“ erwähnt, er steht deshalb in geschriebener Sprache in Anführungszeichen. Im Konditionalteil – „wenn Schnee weiß ist“ – des letzten Satzes des letzten Abschnitts wird der Satz „Schnee ist weiß“ verwendet.
Oder mit der Abkürzung, bzw. dem Namen S für den Satz „Schnee ist weiß“:
‚S‘ ist wahr genau dann, wenn S.
Dieser letzte Satz, der etwas über die Wahrheit des durch den Namen S erwähnten Satzes aussagt, ist ein Satz in einer sogenannten Metasprache, der Satz S ist ein Satz einer bestimmten Objektsprache. In der Metasprache wird etwas über einen Satz der Objektsprache – d.h. letztlich: über eine Tatsache ausgesagt. Das Wörtchen „wahr“ gehört dabei zur Metasprache – und genau das ist der wesentliche Punkt von Tarski: Der Begriff der „Wahrheit“ wird also nicht als objektsprachlicher Begriff verwendet, sondern als metasprachlicher.
Tarski verallgemeinert nun das Schema „’S‘ ist genau dann wahr, wenn S“, indem er alle möglichen Objektsprachen und Namen (also Bezeichnungen) von Sätzen zuläßt:
„Wir wollen nun unser zuvor verwendetes Verfahren verallgemeinern, indem wir eine beliebige Aussage betrachten und durch ‚p‘ ersetzen. Wir bilden ihren Namen und ersetzen diesen durch ‚X‘. Nun fragen wir nach der logischen Beziehung zwischen den beiden Aussagen ‚X ist wahr‘ und ‚p‘. Es ist klar, dass diese Aussagen gemäß der von uns zugrunde gelegten Konzeption der Wahrheit äquivalent sind, das heißt, es gilt die Äquivalenz:
(T) X ist wahr genau dann, wenn p.“ (Alfred Tarski: Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen der Semiotik. In: Gunnar Skirbekk (Hrsg.): Wahrheitstheorien. Frankfurt 1977, S. 144 f.)
Diese „Äquivalenz der Form (T)“ (a.a.O. S. 145) wird als Tarski-Schema bezeichnet.
Um insbesondere das Lügenparadox zu vermeiden („Dieser Satz ist falsch“ – das Paradox besteht darin, dass dieser Satz wahr ist, wenn er falsch ist), schränkt Tarski die Gültigkeit seines Wahrheitskriteriums auf Sprachen ein, in denen das Vokabular, um über Sätze dieser Sprachen zu sprechen, die in diesem Sinne also „semantisch vollständig“ (a.a.O. S. 150) sind, nicht vorkommt. In einer semantisch vollständigen Sprache kann der Satz „Dieser Satz ist falsch“ also nicht formuliert werden.
So kommt es zu einer Hierarchisierung der Sprachen, für die Wahrheitsprädikate widerspruchsfrei definiert werden können.
Um jetzt Wahrheit zu definieren, führt Tarski den Begriff der „Erfüllung“ ein. Erfüllung liegt dann vor, wenn eine Aussagefunktion (z.B. „X ist weiß“) durch Einsetzen eines Subjekts (z.B. „Schnee“) in die Aussageform zu einer wahren Aussage wird. Oder anders gesagt: Wahr ist eine Aussage, wenn ihr Subjekt die Aussagefunktion erfüllt. Und ein Subjekt erfüllt eine Aussagefunktion, wenn ihm die im Prädikat der Aussagefunktion ausgedrückte Eigenschaft zukommt, also:
„(T) x(p) ist eine wahre Aussage dann und nur dann, wenn p“ (Alfred Tarski: Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen. In: Studia Philosophica Commentarii Societatis philosophicae Polonorum. Bd. I, Leopoli [Lemberg] 1935, S. 268. Neu abgedruckt in: K. Berka/L. Kreiser: Logik-Texte. Kommentierte Auswahl zur Geschichte der modernen Logik. 4. Aufl., Akademie Verlag, Berlin 1986)
Die Definition der Wahrheit kann dann als Verallgemeinerung des Tarski-Schemas gefunden werden:
„Wir können nur sagen, dass jede Äquivalenz der Form (T), die wir nach Ersetzung von ‚p‘ durch eine partikuläre Aussage und von ‚X‘ durch den Namen dieser Aussage erhalten, als eine partielle Definition der Wahrheit betrachtet werden kann, die erklärt, worin die Wahrheit dieser einen individuellen Aussage besteht. Die allgemeine Definition muss in einem gewissen Sinne die logische Konjunktion all dieser partiellen Definitionen sein.“ (Alfred Tarski: Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen der Semiotik. In: Gunnar Skirbekk (Hrsg.): Wahrheitstheorien. Frankfurt 1977, S. 145)
Die Wahrheit einzelner Sätze kann unter Rekurs auf Fundamentalaussagen, die entweder Axiome (d.s. innerhalb eines Systems nicht ableitbare Sätze; z.B. stellt der Satz „Jede natürliche Zahl hat einen Nachfolger“ in der Peano-Arithmetik ein Axiom dar) oder Beobachtungsaussagen darstellen, nachgewiesen werden. Komplexe Sätze müssen aus den Fundamentalaussagen abgeleitet werden können.
In formalisierten Sprachen kann dieses Verfahren verallgemeinert werden, in der Umgangssprache freilich nicht. Allerdings sind die Ergebnisse für die formalisierten Sprachen nach Tarski auch bis zu einem gewissen Grade in der Umgangssprache brauchbar:
„Die für formalisierte Sprachen gewonnenen Ergebnisse haben auch in Bezug auf die Umgangssprache eine gewisse Geltung, und zwar dank des Universalismus der letzteren: indem wir eine beliebige Definition einer wahren Aussage […] in die Umgangssprache übersetzen, erhalten wir eine fragmentarische Definition der Wahrheit.“ (Alfred Tarski: Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen. In: K. Berka/L. Kreiser: Logik-Texte. Kommentierte Auswahl zur Geschichte der modernen Logik. 4. Aufl., Akademie Verlag, Berlin 1986, §1)
Epistemische Theorie der Wahrheit
Die epistemische Theorie der Wahrheit hält daran fest, dass Wahrheit etwas mit einer Vorstellung über Sachen und Sachverhalte zu tun haben muss, allerdings rückt sie einen Aspekt, der bei der Korrespondenztheorie überhaupt nicht vorkommt, stärker in den Vordergrund, nämlich den epistemischen Wert der Wahrheit. Wahrheit wird damit zu einem normativen Begriff: Wahrheit hat etwas damit zu tun, was wir vernünftigerweise glauben sollten.
Vertreter dieser Theorie nehmen also einen Grundgedanken Platons auf, den er in seinen frühen Dialogen wie dem Menon erst vorgebracht, dann aber in seinem späteren Dialog Theaitetos wieder relativiert hat.
Im Menon wird Wissen nämlich im Rekurs auf begründete, richtige Vorstellung erklärt:
„Denn auch die richtigen Vorstellungen sind eine schöne Sache, solange sie bleiben, und bewirken alles Gute; lange Zeit aber pflegen sie nicht zu bleiben, sondern gehen davon aus der Seele des Menschen, so dass sie doch nicht viel werde sind, bis man sie bindet durch Beziehung des Grundes. Und dies, Freund Menon, ist eben die Erinnerung, wie wir im Vorigen zugestanden haben. Nachdem sie aber gebunden werden, werden sie zuerst Erkenntnisse und dann auch bleibend. Und deshalb nun ist die Erkenntnis höher zu schätzen als die richtige Vorstellung, und es unterscheidet sich eben durch das Gebundensein die Erkenntnis von der richtigen Vorstellung.“ (Platon: Menon 97 d. f.)
Im Theaitetos aber kommt Sokraktes zu dem Schluss, dass diese Erklärung in sich zirkulär (und damit eben nicht erklärend) ist: Denn sie erklärt ja Wissen als richtige Vorstellung mit dem Wissen darum, dass eben diese Vorstellung richtig ist – was das zu erklärende, nämlich das Wissen, ja gerade schon voraussetzt:
„Sokrates: Wer also gefragt wird, was Erkennen ist, der soll, wie es scheint, antworten: Richtige Vorstellung mit Erkenntnis der Verschiedenheit verbunden. Denn das wäre nun nach jenem das Hinzufügen der Erklärung.
Theaitetos: So scheint es.
Sokrates: Und das ist doch auf alle Weise einfältig, denen, welche die Erkenntnis suchen, zu sagen, sie sei richtige Vorstellung verbunden mit Erkenntnis, gleichviel ob des Unterschiedes oder sonst etwas andern. Weder also die Wahrnehmung, o Theaitetos, noch die richtige Vorstellung, noch die mit der richtigen Vorstellung verbundene Erklärung kann Erkenntnis sein.
Theaitetos: Es scheint nicht.
Sokrates: Sind wir nun noch mit etwas schwanger, Freund, und haben Geburtsschmerzen in Sachen der Erkenntnis? Oder haben wir alles ausgeboren?
Theaitetos: Ich, beim Zeus, habe vermittelst deiner Hilfe sogar mehr herausgesagt, als ich in mir hatte.
Sokrates: Und unsere Geburtshelferkunst hat von diesem allem gesagt, es wären nur Windeier und nicht wert, daß man sie aufziehe?
Theaitetos: Auf alle Weise ja.
Sokrates: Gedenkst du nun, Theaitetos, nach diesem wiederum mit anderem schwanger zu werden, so wirst du, wenn du es wirst, dann Besseres bei dir tragen vermöge der gegenwärtigen Prüfung, – wenn du aber leer bleibst, denen, welche dich umgeben, weniger beschwerlich sein und sanftmütiger, und besonnenerweise nicht glauben zu wissen, was du nicht weißt. Denn nur so viel vermag diese meine Kunst, mehr aber nicht, noch verstehe ich so etwas wie die andern großen und bewunderten Männer von jetzt und ehedem. Diese geburtshelferische Kunst aber ist meiner Mutter und mir von Gott zugeteilt worden, ihr nämlich für die Frauen, und mir für edle und schöne Jünglinge. Jetzt nun muss ich mich in der Königshalle einstellen wegen der Klage, welche Meletos gegen mich angestellt hat. Morgen aber, Theaitetos, wollen wir uns wieder hier treffen.“ (Platon: Theaitetos, 209 e ff.)
Hilary Putnam hat im 20. Jahrhundert dennoch einen Versuch zur Rettung dieser Wahrheitstheorie unternommen, indem er sich des Kunstgriffs von „epistemisch idealen Bedingungen“ und „rationaler Akzeptierbarkeit“ bedient und davon abrückt, eine „formale Definition“ von Wahrheit zu liefern, sondern mehr eine „informelle Erhellung“ dieses Begriffs:
„Wahrheit ist eine Eigenschaft einer Aussage, die sie nicht verlieren kann, während sie ihre Rechtfertigung durchaus einbüßen kann. Die Aussage ‚Die Erde ist flach‘ war vor 3000 Jahren höchstwahrscheinlich rational akzeptierbar, aber heute ist sie das nicht mehr. Es wäre jedoch falsch, zu sagen, dass ‚Die Erde ist flach‘ vor 3000 Jahren wahr war, denn das würde heißen, dass die Erde ihre Gestalt verändert hat. Denn in der Tat: Rationale Akzeptierbarkeit ist sowohl gebunden, als auch relativ einer Person gegenüber. […] Was dies verdeutlicht, ist – meiner Meinung nach – […], dass Wahrheit eine Idealisierung von rationaler Akzeptierbarkeit ist. Wir sprechen so, als gäbe es epistemisch ideale Bedingungen und wir nennen eine Aussage ‚wahr‘, wenn sie unter solchen Bedingungen gerechtfertigt wäre. ‚Epistemisch ideale Bedingungen‘ sind natürlich so etwas wie ‚reibungsfreie Flugzeuge‘: Wir können epistemisch ideale Bedingungen natürlich nie erreichen, noch nicht einmal können wir sicher sein, dass wir ihnen hinreichend nahe gekommen sind. Aber reibungsfreie Flugzeuge können auch nicht verwirklicht werden – und doch hat die Rede von reibungsfreien Flugzeugen baren Wert, denn wir können uns ihnen bis zu einem hohen Grade annähern.“ (Hilary Putnam: Reason, Truth and History, 1981, 55 f.)
Gerade das auch von Putnam zugegebene Abrücken von dem Ziel, eine belastbare Definition von Wahrheit zu liefern, hat der epistemischen Theorie der Wahrheit die Kritik eingebracht, dass es ihren Vertretern letztlich gar nicht um eine Theorie der Wahrheit geht, sondern um eine Theorie der Rechtfertigung (und dass deshalb die epistemische Theorie als realistische Theorie der Wahrheit nicht haltbar ist).
Kohärenztheorie
In der Kohärenztheorie der Wahrheit stellt sich das Problem des Vergleichs von Sätzen, bzw. anderen nicht-tatsachenartigen Entitäten mit den Tatsachen, das das große Problem der Korrespondenztheorie darstellt, deshalb nicht, weil die Kohärenztheorie diesen Vergleich schlicht nicht anstellt. Die Kohärenztheorie definiert Wahrheit als Kohärenz innerhalb eines Aussagensystems. „Kohärenz“ bezieht sich auf eine Menge von Aussagen und bedeutet in diesem Zusammenhang zweierlei:
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Einerseits müssen alle Aussagen einer kohärenten Menge von Aussagen miteinander logisch verträglich sein, sie dürfen sich also nicht widersprechen. Diese Bedingung bedeutet Konsistenz der Menge von Aussagen.
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Andererseits müssen sich die Aussagen einer Menge auch gegenseitig logisch stützen, d.h. sie müssen auseinander ableitbar sein.
Otto Neurath formulierte dies im Blick auf einen Wahrheitsbegriff, der für empirische Wissenschaften brauchbar wäre, ganz pragmatisch wie folgt:
„Die Wissenschaft als ein System von Aussagen steht jeweils zur Diskussion. […] Jede neue Aussage wird mit der Gesamtheit der vorhandenen, bereits miteinander in Einklang gebrachten Aussagen konfrontiert. Richtig heißt eine Aussage dann, wenn man sie eingliedern kann. Was man nicht eingliedern kann, wird als unrichtig abgelehnt. Statt die neue Aussage abzulehnen, kann man auch, wozu man sich im allgemeinen schwer entschließt, das ganze bisherige Aussagensystem abändern, bis sich die neue Aussage eingliedern lässt […].“ (Otto Neurath: Soziologie im Physikalismus, in: Erkenntnis 2/1931, S. 403 f.)
Eine bedeutende Schwäche der Kohärenztheorie liegt auf der Hand und ist in gewissem Sinne Programm: Der Kohärenztheorie fehlt jeglicher Realitätsbezug, sie ist explizit eine Theorie, die sich nur auf Mengen von Aussagen, nicht auf Tatsachen oder auf Sätze über Tatsachen bezieht.
Weiterhin ist der Wahrheitsbegriff der Kohärenztheorie nur relativ, nämlich relativ zu der Menge der Aussagen, die ins sich kohärent sind. So kann es durchaus mehrere verschiedene, in sich kohärente Systeme von Aussagen geben, in denen ein Satz in einem System wahr, im anderen falsch ist. Gerade in einem solchen Fall stellt sich die Frage, welches System denn zugrunde gelegt werden sollte (und also in einem eminenten Sinne „wahr“ ist), denn dass etwas gleichzeitig wahr und nicht wahr sein kann (wenngleich in zwei verschiedenen Satzsystemen), wirft gerade auf eine stark formal ausgerichtete Theorie kein gutes Licht.
Schließlich kann man gegen die Kohärenztheorie einwenden, dass Kohärenz die Gesetze der Logik voraussetzt, für die ein anwendbarer Wahrheitsbegriff wiederum grundlegend ist. Dies setzt die Kohärenztheorie genauso wie die epistemische Theorie der Wahrheit dem Vorwurf einer Zirkularität aus.
Pragmatische Theorie
Die pragmatische Theorie der Wahrheit leitet Wahrheit genauso wie die Kohärenztheorie aus einem Kontext ab, allerdings ist dies im Pragmatismus kein logischer Kontext wie bei der Kohärenztheorie, sondern der Kontext des menschlichen Lebens.
Der Begründer des Pragmatismus, Charles Sanders Peirce, versuchte in seiner Philosophie einen Spagat zwischen rein rationalistischen und rein empiristischen Theorien. In seiner Pragmatischen Maxime, die den Grundtenor seines Denkens auf den Punkt bringt, führt er als entscheidenden Aspekt von Sinn und Bedeutung die „praktische Relevanz“ von Vorstellungen ein:
„Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben können, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes.“ (Chares Sanders Peirce: Collected Papers 5.402)
Diese Maxime macht er auch zur Grundlage seiner Erkenntnistheorie. Nur das soll als Wissen gelten, was anhand von Experimenten intersubjektiv nachprüfbar ist. Behauptet jemand etwas als Wissensgehalt, muss er nach Peirce auch in der Lage sein anzugeben, wie dieser Gehalt überprüft werden kann. Wissenschaft insgesamt ist ein fortdauernder Prozess einer solcher, gemeinschaftlichen Überprüfung von Aussagen, und zeigt nach Peirce eine Approximation an ein Ideal (und damit zeigt seine Theorie eine ganze Reihe von Parallelen zu der epistemischen Theorie der Wahrheit in der Formulierung von Putnam):
„Andererseits sind alle Vertreter der Wissenschaft von der frohen Hoffnung getragen, dass die Prozesse der Forschung, wenn sie nur weit genug voran getrieben werden, zu jeder Frage, auf die sie angewendet werden, eine sichere Lösung ergeben werden. […] Sie mögen zuerst unterschiedliche Ergebnisse erhalten, aber wenn jeder seine Methoden und Prozesse perfektioniert, wird man feststellen, dass die Ergebnisse sich stetig auf ein vorbestimmtes Zentrum hinbewegen. Dies gilt für alle wissenschaftliche Forschung. Unterschiedliche Geister mögen mit äußerst gegensätzlichen Ansichten beginnen, aber der Fortschritt der Untersuchungen bringt sie durch eine außer ihnen liegende Kraft zu ein und derselben Schlussfolgerung. Diese Aktivität des Denkens, die uns nicht dahin bringt, wohin wir wollen, sondern zu einem vorherbestimmten Ziel, ist wie ein Wirken des Schicksals. […] Die Meinung, der alle Forscher schicksalhaft am Ende zustimmen müssen, ist das, was wir mit Wahrheit meinen, und der Gegenstand, der durch diese Meinung repräsentiert wird, ist das Reale.“ (Chares Sander Peirce: Collected Papers, 5.407)
Wahrheit konstituiert sich also intersubjektiv – aber nicht rein durch Überlegungen oder gar nur durch Abstimmung, sondern unter Rekurs auf Empirie. Als Wahrheit ist das zu bezeichnen, was sich im Experiment bestätigt. Letztlich ist damit Wahrheit nie erreichbar, da ja immer wieder ein neues Experiment denkbar ist, das im Widerspruch zu allen bislang durchgeführten Experimenten steht. Alle Erkenntnis ist also fallibel.
Wahrheit ist in diesem Sinne etwas, das entsteht und sich bestätigt. Wahrheit ist im Pragmatismus nichts Statisches, sondern weist Dynamik auf, sie ist ein regulativer Begriff in dem Sinne, dass sie mit dem Ansporn verbunden ist, eine als wahr behauptete Aussage immer wieder erneut zu überprüften und ihre Bewährung also immer wieder erneut zu hinterfragen.
Insbesondere ist Wahrheit unabhängig von Tatsachen. William James formuliert dies sehr pointiert:
„Im dem Reiche der Wahrheitsprozesse tauchen Tatsachen unabhängig voneinander auf und bestimmen vorläufig unsere Überzeugungen. Aber diese Überzeugungen bestimmen unser Handeln, und soweit sie das tun, bringen sie neue Tatsachen zum Vorschein, die wiederum unsere Überzeugungen entsprechend umgestalten. So spielt sich das Aufrollen der Wahrheit unter doppeltem Einfluss ab. Aus Tatsachen ergeben sich Wahrheiten, diese aber dringen wieder weiter in die Tatsachen ein und fügen neue hinzu. Diese neuen Tatsachen schaffen oder offenbaren neue Wahrheiten, und so geht es immer weiter bis ins Unendliche. Die Tatsachen selbst sind aber nicht wahr, sie sind einfach. Wahrheit ist die Funktion unserer Urteile, die inmitten der Tatsachen entstehen und enden.“ (William James: Der Wahrheitsbegriff des Pragmatismus. In: Gunnar Skirbekk (Hrsg.): Wahrheitstheorien. Frankfurt 1977, S. 51)
William James, John Dewey und andere deuteten diese bei Peirce noch sehr (wissenschafts-)theoretisch gedachten Ansätze stärker lebensweltlich aus, indem sie „Dienlichkeit“ als Kriterium für die Beurteilung von Wahrheit einführten. Dies führte letztlich dazu, dass dem späteren Pragmatismus der Vorwurf des Instrumentalismus gemacht wurde – nicht zuletzt von Peirce selbst, der sich in der leichter verständlichen und mehr praktisch orientierten Ausarbeitung seiner Grundgedanken durch seine Nachfolger missverstanden fühlte.
Aus mehr theoretischer Perspektive stellt sich bei diesem Ansatz das Problem, dass hier Definition von und Kriterien für Wahrheit vermischt werden und dass vor allem im Ansatz von James und Dewey der Begriff der „Dienlichkeit“ recht nebulös bleibt.
Konsenstheorie
Der Gedanke, dass die Intersubjektivität entscheidend für die Frage nach Wahrheit und Falschheit ist, ist zentral für die Konsenstheorie der Wahrheit, deren prominentester Exponent Jürgen Habermas ist. In der Konsenstheorie (oder „Diskurstheorie“, wie der Terminus von Habermas lautet) kann eine Aussage als wahr gelten, wenn alle kompetenten Mitglieder einer Sprachgemeinschaft dieser Aussage zustimmen und deshalb der mit der Aussage verbundene Geltungsanspruch gerechtfertigt ist. Habermas definiert:
„Wahrheit nennen wir den Geltungsanspruch, den wir mit konstativen Sprechakten verbinden. Eine Aussage ist wahr, wenn der Geltungsanspruch der Sprechakte, mit denen wir, unter Verwendung von Sätzen, jene Aussage behaupten, berechtigt ist.“ (Jürgen Habermas: Wahrheitstheorien. In: Helmut Fahrenbach (Hrsg.): Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag. Pfullingen 1973, S. 218)
Wahrheit kommt also nur konstativen Sprechakten, d.h. Aussagen über Tatsachen und z.B. nicht Befehlen oder Fragen zu. Und Wahrheit bedeutet einen Geltungsanspruch. Mit dem Geltungsanspruch wird – salopp gesagt – der Bogen zur Realität gespannt (und damit z.B. ein Unterschied zur Kohärenztheorie gemacht). Habermas unterscheidet vier verschiedene Arten von Geltungsansprüche:
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Verständlichkeit: Eine Aussage ist intersubjektiv verständlich, wenn alle kompetenten Sprecher ihr die gleiche Bedeutung zusprechen.
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Objektive Wahrheit: Eine Aussage ist objektiv wahr, wenn alle kompetenten Sprecher mit ihr den gleichen objektiven Sachverhalt meinen.
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Normative Richtigkeit: Eine Aussage ist normativ richtig, wenn alle kompetenten Sprecher der in ihr enthaltenen Regel zustimmen.
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Subjektive Wahrhaftigkeit: Eine Aussage ist subjektiv wahrhaftig, wenn alle kompetenten Sprecher darin übereinstimmen, dass sie ohne Täuschungsabsicht vom einem Subjekt vorgebracht wird.
Habermas geht in seiner Theorie davon aus, dass die Menschen grundsätzlich in der Lage sind, sich rational und gutwillig zu verhalten und dass grundsätzlich eine sinnvolle Kommunikation zwischen Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft möglich ist.
Wie im Pragmatismus muss sich in der Konsenstheorie Wahrheit bewähren – allerdings nicht durch ein empirisches Experiment, sondern im Diskurs. Der Diskurs soll einen Konsens ermöglichen, der von allen Diskursteilnehmern geteilt werden kann, wobei die Erlangung dieses Konsensus freilich nur in einer Sprechsituation wirklich erreicht werden kann, die einer Reihe von Kriterien genügt; diese lassen sich in Form von vier verschiedenen Arten von Chancengleichheit ausdrücken:
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Jedes Mitglied einer Sprachgemeinschaft muss „jederzeit Diskurse eröffnen sowie durch Rede und Gegenrede, Frage und Antwort“ fortsetzen können. Es muss also gleiche Chancen zur Eröffnung eines Diskurses und zur Beteiligung an ihm geben.
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Es muss die uneingeschränkte Möglichkeit geben, Themen zu setzen und Kritik zu äußern. Es darf „keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen“ bleiben. Es darf also keine Tabus, Denk- und Redeverbote geben.
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Alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft müssen „ihre Einstellungen, Gefühle und Intentionen zum Ausdruck zu bringen“ – und dürfen nicht etwa aus pragmatischen Gründen zu Täuschungen und Lügen greifen.
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Der Diskurs muss herrschaftsfrei sein, es muss also jeder „die gleiche Chance haben, […] zu befehlen und sich zu widersetzen, zu erlauben und zu verbieten, […] usf.“, damit „Privilegierungen im Sinne einseitig verpflichtender Handlungs- und Bewertungsnormen“ ausgeschlossen sind. (Zitate aus Jürgen Habermas: Wahrheitstheorien. In: Helmut Fahrenbach (Hrsg.): Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag. Pfullingen 1973, S. 220f.)
Als Kritik an dieser Theorie wird vor allem vorgebracht, dass sie einerseits utopisch und damit nicht umsetzbar sei – selbst wenn sie von zutreffenden Grundannahmen über den Menschen ausginge – und dass andererseits aber Rationalität zumindest nicht allein geeignet sei, das menschliche Geschehen hinreichend abzubilden, bzw. zu modellieren.
Evidenztheorie
Der Begriff „Evidenz“ wurde von Franz Brentano geprägt und als Kriterium für die Feststellung von Wahrheit bestimmt. Brentano versteht unter Evidenz eine ausgezeichnete Erlebnisqualität, die mit einem mentalen Akt wie z.B. einem Urteil verbunden ist. Damit ist Evidenz eine subjektive Qualität, die für Brentano aber trotzdem als Kriterium für Wahrheit genommen wird. Brentano schreibt dazu, indem er zugleich die Korrespondenztheorie kritisiert:
„Auf die Frage, was unter Wahrheit zu verstehen sei, antwortet man sehr gewöhnlich, man verstehe darunter die Übereinstimmung des Verstandes mit der Sache … [Es kann aber] … unmöglich eine Übereinstimmung erkannt werden, wenn nicht jedes der beiden, um deren Übereinstimmung es sich handelt, von uns erkannt ist. […] Die wahre Garantie für die Wahrheit eines Urteils liegt in der Evidenz, die es entweder unmittelbar besitzt oder mittels des Beweises durch die Verbindung mit anderen Urteilen, welche unmittelbar evident sind, erlangt.“ (Franz Brentano: Wahrheit und Evidenz. Hrsg. v. Oskar Kraus. Hamburg 1930, S. 137)
Als Ziel philosophischen Tuns hatte schon René Descartes Evidenz angegeben – freilich noch mit anderer Begrifflichkeit. Descartes Ideal war das Klarheit und Deutlichkeit:
„Denn zu einer Erkenntnis, auf die ein sicheres und unzweifelhaftes Urteil gestützt werden kann, gehört nicht bloß Klarheit, sondern auch Deutlichkeit. Klar nenne ich die Erkenntnis, welche der aufmerkenden Seele gegenwärtig und offen ist, wie man das klar gesehen nennt, was dem schauenden Auge gegenwärtig ist und dasselbe hinreichend kräftig und offen erregt. Deutlich nenne ich aber die Erkenntnis, welche in ihrer Klarheit von allem Anderen abgesondert und ausgetrennt ist, so dass sie nur Klares in sich enthält.“ (René Descartes: Prinzipien der Philosophie I, 45)
Sowohl Descartes, als auch Brentano liefern keine Definition von Wahrheit, sondern den Hinweis auf ein Wahrheitskriterium.
Brentanos Schüler Edmund Husserl nahm das Konzept der Evidenz auf. Er beschreibt Evidenz wie folgt:
„Evidenz ist in einem allerweitesten Sinne eine Erfahrung von Seiendem und So-Seiendem, eben ein Es-selbst-geistig-zu-Gesicht-Bekommen. Widerstreit mit dem, was sie, was Erfahrung zeigt, ergibt das Negativum der Evidenz (oder die negative Evidenz) und als seinen Inhalt die evidente Falschheit.“ (Edmund Husserl: Cartesianische Meditationen. §5)
Auch bei Husserl findet sich – analog zum Pragmatismus – der Grundgedanke, dass sich Evidenz bewähren muss: Zwar ist Evidenz eine Aktcharakter, der sich zunächst unmittelbar aufdrängt (oder ausbleibt), allerdings muss sich diese Evidenzerfahrung in der Wahrnehmung bewähren – d.h.: Auch weitere Wahrnehmungen der gleichen Art, bzw. vom gleichen Gegenstand müssen mit dem gleichen Evidenzerlebnis verbunden sein, damit einem Urteil nach wie vor eine bestimmte Evidenz zugesprochen werden kann.
Wahrheit sieht Husserl als „Korrelat“ von vollkommener Evidenz (vgl. ebd.): Wenn also ein Urteil mit vollkommener Evidenz erlebt wird, so zeigt sich dadurch die Wahrheit des Urteils.
Evidenz (und damit Wahrheit) ist nun graduell. Nach Husserl kommt es nun darauf an, für jeden Lebensbereich das angemessene Maß an Evidenz zu suchen:
„Wahrheit und Falschheit, Kritik und kritische Adäquation an evidente Gegebenheiten sind alltägliches Thema, schon im vorwissenschaftlichen Leben ihre beständige Rolle spielend. Für dieses Leben des Alltags mit seinen wechselnden und relativen Zwecken genügen relative Evidenzen und Wahrheiten. Wissenschaft aber sucht Wahrheiten, die ein für allemal und für jedermann gültig sind und gültig bleiben, und demgemäß neuartige und bis ins letzte durchgeführte Bewährung. Wenn sie, wie schließlich sie selbst einsehen muss, de facto nicht zur Verwirklichung eines Systems ‚absoluter‘ Wahrheiten durchdringt und genötigt ist, ihre Wahrheiten immer wieder zu modifizieren, so folgt sie eben doch der Idee der absoluten oder wissenschaftlich echten Wahrheit und lebt demgemäß hinein in einen unendlichen Horizont auf diese Idee hinstrebender Approximationen.“ (ebd.)
Das Ziel, evidenzbasiert eine haltbare Fundierung von Wissenschaft zu liefern, hat Husserl letztlich auch seiner Ansicht nach nicht wirklich erreicht. Das große Problem einer evidenzbasierten Theorie ist, dass es keine, bzw. intersubjektiv nur sehr schwer nachvollziehbare methodisch fundierte Begründung und Rechtfertigung von Evidenzerlebnissen gibt. Letztlich muss auch Husserl – wie nach ihm Habermas, dessen Konsenstheorie ja auch auf einer Art Evidenzerlebnis basiert – davon ausgehen, dass der Mensch im kommunikativen Austausch mit anderen (und auch mit sich selbst) gutwillig und aufrichtig ist, wenn er sich auf seine Evidenzerlebnisse bezieht. Husserl hat freilich in seiner Philosophie nach Methoden gesucht, wie die Phänomene möglichst unverstellt in den Blick kommen – und damit auch ein möglichst ursprüngliches, von Wünschen und Bedürfnissen unabhängiges Evidenzerlebnis möglich wird.
Martin Heidegger hat unter Rückgriff auf die Ethymologie des griechischen Begriffs für Wahrheit, „alätheia“, das Evidenzkonzept der Wahrheit weiterentwickelt. Für Heidegger bedeutet Wahrheit „Un-Verborgenheit“ des Seienden. Die Suche nach der Wahrheit ist damit gleichbedeutend damit, alles Verbergende zu beseitigen und damit das Verborgene zu entbergen.
So plausibel diese Konzeption auf den ersten Blick aussieht, so problematisch wird sie allerdings bei genauerer Betrachtung, da sich in ihr, bzw. genauer gesagt, in der Heideggerschen Ausformung dieser Idee nur schwer noch das Konzept der Falschheit aufrecht erhalten lässt. Mit anderen Worten: Letztlich bleibt nur noch Wahrheit übrig, überspitzt gesagt ist in der Heideggerschen Ontologie (insbesondere in der Ausprägung seiner späten Schaffensphase) kein Platz mehr für Falschheit, bzw. Unwahrheit. Damit verliert aber Wahrheit auch jeden spezifischen, insbesondere lebenspraktischen Sinn.
Deflationistische Wahrheitstheorien
Neben diesen substantiellen Wahrheitstheorien gibt es, wie oben schon erwähnt, auch sog. „deflationistische“ Wahrheitstheorien, die größtenteils der analytischen Sprachphilosophie der Moderne entstammen und von denen die zwei wichtigsten hier noch kurz vorgestellt werden sollen.
Redundanztheorie
Die Redundanztheorie behauptet, dass Prädikationen von Wahrheit wie z.B. im Satz „Der Satz, Schnee ist weiß, ist wahr“ letztlich redundant sind. Dass der Schnee weiß ist, sei schon durch die Behauptung dieses Zusammenhangs gesagt, dazu bedürfe es keiner weiteren Prädikation. Wie oben schon zitiert, hat Gottlob Frege hatte diesen Grundgedanken in seinem Aufsatz „Über Sinn und Bedeutung“ bereits 1892 formuliert.
Übrigens, auch wenn dieser Grundgedanke von Frege stammte, war Frege selbst nicht ein Verfechter der Redundanztheorie. Für ihr war Wahrheit ein abstrakter Gegenstand, er wandte sich primär dagegen, das Wörtchen „wahr“ als reales, sachhaltiges Prädikat zu verwenden.
So einleuchtend die Redundanztheorie im Blick auf ein Reihe von Aussagesätzen der eben zitierten Struktur behauptet werden kann, gibt es doch primär zwei Kritikansätze bzgl. dieser Theorie:
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Auch wenn die Vertreter dieser Theorie behaupten, dass die Prädikation von Wahrheit redundant ist, verwenden sie ja genau in dieser Behauptung die Begriffe „wahr“ und „Wahrheit“ sinnvoll – ohne allerdings diesen Sinn anzugeben.
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Es gibt Sätze, aus denen sich die Prädikation von Wahrheit nicht so einfach eliminieren lässt, wie in einfachen Sätzen der Form Subjekt – Prädikat. Z.B. ist im Satz „Alles, was der Papst sagt, ist wahr“ das Wörtchen „wahr“ nicht redundant und kann nicht weggelassen werden.
Minimaltheorie
Paul Horwich arbeitete für sein 1990 publiziertes Buch „Truth“ eine Wahrheitstheorie aus, deren Kern darauf hinausläuft den Eindruck zu widerlegen, dass der Begriff „Wahrheit“ eine eminente Bedeutung habe und damit wichtige philosophische Fragen geklärt werden könnten. In gewisser Weise liegt er damit auf der Linie von Ludwig Wittgenstein, der in der frühen Phase seines Philosophierens einen sehr einfach Begriff von Wahrheit hatte:
„Denn, wahr ist ein Satz, wenn es sich so verhält, wie wir es durch ihn sagen […].“ (Wittgenstein, Tractatus logico‐philosophicus (1918), 4.062)
Allem weitergehenden Sprechen über Wahrheit müsse man nach Horwich das folgende Wittgenstein-Zitat entgegenhalten:
„Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat –, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat.“ (a.a.O., 6.53)
Horwich billigt deshalb dem Wahrheitsprädikat nur in ganz besonderen Zusammenhängen eine sinnvolle Verwendung zu, nämlich wenn es darum geht, eine korrekte Satzformulierung zu finden. Fälle einer solchen sinnvollen Verwendung wären also beispielsweise die folgenden:
Satz: „Nietzsche ist tot.“
Nominalausdruck: „Die Aussage, dass Nietzsche tot ist.“
Korrekte Satzbildung: „Die Aussage, dass Nietzsche tot ist, ist wahr.“
Dieses Verfahren ist auch für eine Menge von Sätzen gültig:
Sätze aus Einsteins Relativitätstheorie: ET1, ET2, ET3, … ETn
Nominalausdruck: Einsteins Relativitätstheorie
Korrekte Satzbildung: Einsteins Relativitätstheorie ist wahr.
Horwich geht nun davon aus, dass man die Aneinanderreihung aller wahrer Sätze, die als Menge MT bezeichnet werden, anerkennen muss, also:
(MT) Die Aussage, dass Quarks existieren, ist genau dann wahr, wenn Quarks existieren, die Aussage, dass Lügen schlecht ist, ist genau dann wahr, wenn Lügen schlecht ist, die Aussage, dass Nietzsche tot ist, ist genau dann wahr, wenn Nietzsche tot ist, …
Technisch bedeutet dies:
Für alle Sätze S gilt: S ist wahr genau dann, wenn S besagt, dass die Dinge sich so verhalten, und die Dinge verhalten sich so.
Derart wäre – so Horwich – alles über das Wörtchen „wahr“ gesagt, was es zu sagen gibt. Zu dem Rest müsste man dann mit Wittgenstein sagen:
„Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ (a.a.O., 7)
Auf der Hand liegt bei dieser Theorie, dass sie zwar vom Grundgedanken her sehr einfach, allerdings kaum handhabbar ist, da die Menge MT unendlich viele Sätze zumindest beinhalten kann und sie auch mit Prüfsteinen wie dem Lügenparadoxon nicht zufriedenstellend umgehen kann.
Abschluss
Freilich gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Wahrheitstheorien, diese sind aber teilweise sehr technisch und nur in der philosophischen Fachdiskussion relevant oder sehr abseitig. Die hier jetzt vorgestellten Wahrheitstheorien geben zumindest einen Einblick in die Komplexität der Wahrheitsthematik.
Wie aus dieser Vielzahl ersichtlich wurde, ist sich auch die Philosophengemeinde nicht einig darüber, wie Wahrheit zu verstehen ist, was Wahrheit ist und wer oder was Träger von Wahrheit sein kann.
Nicht vergessen sollte werden, dass diese Theorien in der Regel nicht als abstrakte Denkspielereien aufgestellt wurden, sondern tatsächlich etwas über die Welt aussagen sollen, bzw. zur Aufhellung des Phänomens „Wahrheit“ beitragen sollen. Letztlich können, bzw. sollen diese Theorien oder Konsequenzen aus ihnen in der Tat auch Auswirkungen auf die je persönliche Auffassung von Wahrheit und den je eigenen Gebrauch des Begriffs Wahrheit haben.
1Die folgenden Ausführungen haben viel von folgenden zwei Quellen profitiert: Herbert Huber: Was ist Wahrheit? Überblick zu aktuellen Wahrheitstheorien, in: Aufklärung und Kritik 1 (2002), S. 96–110, sowie: Christian Nimtz: Materialien zur Vorlesung über theoretische Philosophie der Gegenwart, gehalten in Erlangen, Wintersemester 2009 und Wintersemester 2011. Außerdem wurde immer wieder Wikipedia konsultiert.
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